Vasyl Stus: Deutsche Poesie
Die Kammeroper Stus: Passantenkerosin 12 Gedichte aus dem ukrainischen Schweiß, der den Bass von 10 Musikkompositionen bildet.

Deutscher Übersetzer:
Tanja Maljartschuk
Tanja Maljartschuk
письменниця, есеїстка
Відень, Австрія
Авторка кількох збірок короткої прози, романів „Біографія випадкового чуда” (2013) та „Забуття” (2016), підліткової повісті „Mox Nox” (2018) та книжки верлібрів та колажів
„За такі гріхи Бог ще подякує” (2020);
регулярно дописує в україно- та німецькомовні медіа (Німецька хвиля, FAZ, Die Zeit).

Лауреатка численних літературних премій, зокрема „Книга року BBC” зароман „Забуття” та конкурсу німецькомовної літератури імені Інґеборґ Бахман (Ingeborg-Bachmann-Preis).

Таня Малярчук вперше взялася за художній переклад української поезії на німецьку мову. Рушійною силою стало її давнє захоплення постаттю та віршами Василя Стуса, а також намір у недалекому майбутньому посприяти виходу його повноцінної збірки німецькою мовою.
Geboren in Iwano-Frankiwsk/Ukraine, studierte Ukrainische Philologie an der Prykarpattia National Universität, arbeitete einige Jahre als Fernsehjournalistin in Kiew. Seit 2011 wohnhaft in Österreich. Letzte Veröffentlichung in deutscher Sprache: Roman «Blauwal der Erinnerung» Kiepenheuer & Witsch, 2019.

Zahlreiche Essays u. a. in der FAZ und Der Zeit (Zeit Online, Reihe der Freitexte), Radiobeiträge für Ö1.
Sie ist Bachmann-Preisträgerin 2018.

Tanja Maljartschuk übersetzt zum ersten Mal Gedichte ins Deutsche. Wassyl Stus ist ihr Lieblingsdichter. In der Folge ist eine vollständige Publikation von ihm in deutscher Sprache geplant.

Warst du dafür geboren, Mann,


Warst du dafür geboren, Mann,

in meine Zelle durch ein Loch zu spähen?

Hat dich dein Leben nicht vermisst?

Hast du Bestimmung hier gefunden,

in diesem jämmerlichen Dienst,

von menschlichem Martyrium durchdrungen?

Du stehst inmitten meines tiefen Mitleids,

mein krankes Herz grämt sich um dein

Schicksal, wohl doppelt so bedauerlich als meins.

Ich bin ich selbst, und du — ein Schatten nur.

Ich bin das Gute, du — Asche und Staub.

Gemeinsam sind wir aber Gefangene,

auf zwei Seiten einer Tür. Du — dort, ich — hier.

Uns trennen hohe Mauer aus Papier.


Schon sind wir, Tod, deine Geliebten:


Schon sind wir, Tod, deine Geliebten:

das Leben leuchtet uns durch Nebel.

Sei glücklich jetzt, nachdem die Felder

des Mondes voll besät sind … Lieder,

blutrot gegeißelt, ziehen hoch

auf den stacheligen Hügel.

Von Leid berauscht sitzt ein Kuckuck

im Busch und ruft sinnlos: „Gu-Kuh“.

Wir trinken Saft von einer Birke,

Wir trinken Wasser aus Flüssen

und knochig schlanke Bergahorne

brechen das Eis im Tal. In Flammen

steht feuriger Hartrigel-Strauch,

das Wintergrün durchdringt den Schnee,

die Erde dampft, in ihrem Bauch,

Empfängnis ahnend wie die Sünde.

Wie herrlich nun — am Rand des Waldes,

auf den Heidenpfad abbiegen

und sich rücklings ins Gras legen,

so wie ein Säugling in die Wiege.

Selbstbildnis mit Kerze


Hebe die Kerze hoch über den Kopf

bis deine Glieder müde werden —

dein Leben lang. Zu kurz — die Nacht.

Es dunkelt bange auf der Erde.

Wie Kugeln pfeifen Fledermäuse.

Die Wangen kühlt ein weißer Schimmel.

Gru-gru, Geflügelte, wo bleibt ihr?

Wie könnt ihr fliegen ohne Himmel?

Sie glotzen ängstlich, eingeschlafen.

Ein Uhu schreit — aus der Grube.

Zu spät. Ich gehe. Ein Mordbube

versteckt sich hinten wie ein Bruder.

O du, Kanaille, Luder,

triffst du ins Licht?

Die Kerze flackert nicht.

Ich wünsch mir — zu sterben!


Nicht schweigen zu müssen,

nicht schreien zu müssen.

Das letzte am morgen

erglühte Gestirn,

den letzten Eintritt

eines glasigen Tages

abwarten und — sterben!

Und niemals — zurück:

in die Ruh, in die Stille

aus Blei, himmelwärts,

wo beim Wiegenlied schlummert

mein verriegeltes Herz —

zum Ersticken —

Ich wünsch mir — zu sterben!

Denn geträumt sind die Träume,

gedacht die Gedanken,

abgeklungen — die Freude,

und die Farben sind schwarz.

Ein senkrechter Pfad,

wie ein Eisloch unfruchtbar,

lässt sich kaum besteigen

zu Fuß, mit dem Aug

mit dem Gang, mit dem Geist

mit dem schmerzenden Körper,

mit dem Hals, der sich krümmt

von Geheul — Gott Allmächtiger,

heb mich hoch,

denn ich möchte nur sterben!

Sowieso undurchführbar

sind’s Gehetze des Wartens,

Unterläufe des Schlundes,

Oberläufe des Duldens,

allumfassender Schmerz.

Erlaß, Gott, zu sterben!

Verschwinden, vergessen,

im Klagen verenden,

in Stücke zerfallen,

zerstreut sein im Wind,

verirrt in der Zeit,

sich die eigene Seele

ausreißen und leer in die

Namenlosigkeit stürzen!

Es stöbert bergab

meines Daseins, es werden

alle Wege verwischt,

all die Mühe verstaubt.

In der glasigen Dämmerung

hebt Mutter die Hände

über die Welt und ertastet

das Gespenst ihres Sohnes,

sein Geburtsmal im Auge,

seine traurig hängenden

buckligen Schultern.

Ich wünsch mir — zu sterben!

Sich heimlich einschleichen

jenseits von der Hoffnung,

jenseits vom Abscheulichen,

hinter der Wand der sich Fügenden,

hinter Gittern der Rasenden,

über Pfähle der Jammernden,

hin zu Stacheln der Wut.

Und sich betten

im leisesten Schnee

zwischen Haufen der

für immer Verlorenen.

Ich wünsch mir zu sterben!