Warst du dafür geboren, Mann,
Warst du dafür geboren, Mann,
in meine Zelle durch ein Loch zu spähen?
Hat dich dein Leben nicht vermisst?
Hast du Bestimmung hier gefunden,
in diesem jämmerlichen Dienst,
von menschlichem Martyrium durchdrungen?
Du stehst inmitten meines tiefen Mitleids,
mein krankes Herz grämt sich um dein
Schicksal, wohl doppelt so bedauerlich als meins.
Ich bin ich selbst, und du — ein Schatten nur.
Ich bin das Gute, du — Asche und Staub.
Gemeinsam sind wir aber Gefangene,
auf zwei Seiten einer Tür. Du — dort, ich — hier.
Uns trennen hohe Mauer aus Papier.
Schon sind wir, Tod, deine Geliebten:
Schon sind wir, Tod, deine Geliebten:
das Leben leuchtet uns durch Nebel.
Sei glücklich jetzt, nachdem die Felder
des Mondes voll besät sind … Lieder,
blutrot gegeißelt, ziehen hoch
auf den stacheligen Hügel.
Von Leid berauscht sitzt ein Kuckuck
im Busch und ruft sinnlos: „Gu-Kuh“.
Wir trinken Saft von einer Birke,
Wir trinken Wasser aus Flüssen
und knochig schlanke Bergahorne
brechen das Eis im Tal. In Flammen
steht feuriger Hartrigel-Strauch,
das Wintergrün durchdringt den Schnee,
die Erde dampft, in ihrem Bauch,
Empfängnis ahnend wie die Sünde.
Wie herrlich nun — am Rand des Waldes,
auf den Heidenpfad abbiegen
und sich rücklings ins Gras legen,
so wie ein Säugling in die Wiege.
Selbstbildnis mit Kerze
Hebe die Kerze hoch über den Kopf
bis deine Glieder müde werden —
dein Leben lang. Zu kurz — die Nacht.
Es dunkelt bange auf der Erde.
Wie Kugeln pfeifen Fledermäuse.
Die Wangen kühlt ein weißer Schimmel.
Gru-gru, Geflügelte, wo bleibt ihr?
Wie könnt ihr fliegen ohne Himmel?
Sie glotzen ängstlich, eingeschlafen.
Ein Uhu schreit — aus der Grube.
Zu spät. Ich gehe. Ein Mordbube
versteckt sich hinten wie ein Bruder.
O du, Kanaille, Luder,
triffst du ins Licht?
Die Kerze flackert nicht.
Ich wünsch mir — zu sterben!
Nicht schweigen zu müssen,
nicht schreien zu müssen.
Das letzte am morgen
erglühte Gestirn,
den letzten Eintritt
eines glasigen Tages
abwarten und — sterben!
Und niemals — zurück:
in die Ruh, in die Stille
aus Blei, himmelwärts,
wo beim Wiegenlied schlummert
mein verriegeltes Herz —
zum Ersticken —
Ich wünsch mir — zu sterben!
Denn geträumt sind die Träume,
gedacht die Gedanken,
abgeklungen — die Freude,
und die Farben sind schwarz.
Ein senkrechter Pfad,
wie ein Eisloch unfruchtbar,
lässt sich kaum besteigen
zu Fuß, mit dem Aug
mit dem Gang, mit dem Geist
mit dem schmerzenden Körper,
mit dem Hals, der sich krümmt
von Geheul — Gott Allmächtiger,
heb mich hoch,
denn ich möchte nur sterben!
Sowieso undurchführbar
sind’s Gehetze des Wartens,
Unterläufe des Schlundes,
Oberläufe des Duldens,
allumfassender Schmerz.
Erlaß, Gott, zu sterben!
Verschwinden, vergessen,
im Klagen verenden,
in Stücke zerfallen,
zerstreut sein im Wind,
verirrt in der Zeit,
sich die eigene Seele
ausreißen und leer in die
Namenlosigkeit stürzen!
Es stöbert bergab
meines Daseins, es werden
alle Wege verwischt,
all die Mühe verstaubt.
In der glasigen Dämmerung
hebt Mutter die Hände
über die Welt und ertastet
das Gespenst ihres Sohnes,
sein Geburtsmal im Auge,
seine traurig hängenden
buckligen Schultern.
Ich wünsch mir — zu sterben!
Sich heimlich einschleichen
jenseits von der Hoffnung,
jenseits vom Abscheulichen,
hinter der Wand der sich Fügenden,
hinter Gittern der Rasenden,
über Pfähle der Jammernden,
hin zu Stacheln der Wut.
Und sich betten
im leisesten Schnee
zwischen Haufen der
für immer Verlorenen.
Ich wünsch mir zu sterben!